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Kein „Weiter-so“: Eine Art von Remonstration


Es kann kein "Weiter-so" geben, sagen die Bürgermeister der Region. Schon 40 Kommunen des Rhein-Neckar-Kreises und Landrat Stefan Dallinger haben einen gemeinsamen Brief an Bund und Land unterschrieben. Dazu gehört auch Schriesheims Bürgermeister Christoph Oeldorf.

Der Brief im Wortlaut

Seit langem schon warnen die kommunalen Spitzenverbände vor der andauernden und zunehmenden Überlastung der Kommunen – ohne Erfolg. Bei den Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden hat sich der Eindruck verfestigt, dass diese Warn- und Hilferufe in den Landtagen und im Bundestag schlichtweg ignoriert werden. Den Landes- und vor allem Bundespolitikern fehlt es offensichtlich an Erfahrungen in der Verwaltungsarbeit und der Kommunalpolitik – die „Bodenhaftung“ ist verloren gegangen.

Die dürftigen Ergebnisse des letzten Flüchtlingsgipfels sind ein weiterer Beleg dafür und der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Ein weiteres Mal wurde deutlich, dass gravierende Probleme einfach auf die unteren Verwaltungsebenen wegdelegiert werden. Für die menschenwürdige Unterbringung von zusätzlichen Flüchtlingen ist in unseren Städten und Gemeinden einfach kein Platz mehr da; bezahlbarer Wohnraum fehlt ja heute schon überall. Zur Behebung dieser Wohnungsnot stehen den Kommunen keine geeigneten Instrumente zur Verfügung. Sämtliche bisher aufgelegten Programme sind hilflose Versuche, die von vorneherein zum Scheitern verurteilt sind und auch die Bundes-Bauministerin muss zugeben, dass ihre Zielvorgaben auch in 2022 wieder verfehlt werden.

Dabei wird übersehen, dass die Kommunen nicht nur die finanziellen Mittel zur Umsetzung ihrer Aufgaben benötigen – vor allem die Ressource „Mensch“ ist begrenzt. Nach den zahlreichen Krisen der letzten Jahre – Corona, Flüchtlinge, Gasmangellage – sind unsere Mitarbeiter schlicht am Ende ihrer Kräfte.

Darüber hinaus sollen die Kommunen auch noch die gesamte Infrastruktur des Landes umbauen. Wir sollen vor Ort die Energie- und die Mobilitätswende bewältigen, die Wohnungsnot bekämpfen, die Digitalisierung beschleunigen, das Klima und nebenbei auch noch die Demokratie retten.

Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen das Informationsfreiheitsgesetz umsetzen und gleichzeitig den Datenschutz beachten. Die Kommunen sind gezwungen unzählige Statistiken auszufüllen, Biotopverbund- und Wärmenetzplanungen zu erstellen. Förderanträge müssen über externe Dienstleister gestellt werden, da weder die Bundes- und Landesbehörden noch die Kommunen in der Lage sind, im Förderdschungel den Durchblick zu behalten.

Es ist nicht die Frage, ob die Kommunen bereit sind, die ihnen gestellten Aufgaben zu erfüllen, sie sind schlichtweg nicht mehr dazu in der Lage. Wer dies verkennt und immer weiter Hoffnungen und Erwartungen in der Bevölkerung (in Deutschland und darüber hinaus) weckt, der leistet einer gefährlichen Entwicklung Vorschub: Der Staat – und dieser wird in erster Linie vor Ort in den Kommunen erlebt – wird zunehmend als dysfunktional wahrgenommen. Das Vertrauen der Menschen in Politik und Verwaltung nimmt ab. Unser demokratisches System wird von immer mehr Bürgern als zur Lösung der drängendsten Probleme unfähig abgelehnt.

Wir Kommunen fordern daher:

  • eine Rückbesinnung auf die Kernaufgaben der Kommunen (und des Staates)
  • eine kritische Überprüfung der uns gestellten Aufgaben
  • eine ergebnisoffene Diskussion über vorgegebene Standards
  • die Entbürokratisierung und Entschlackung von Verfahren
  • die kommunale Selbstverwaltung muss wieder gestärkt werden.
  • eine ehrliche Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern
  • das Allgemeinwohl muss wieder vor das Einzelwohl gestellt werden.

Unsere konkreten Forderungen:

Die sofortige Abschaffung der Umsatzsteuerpflicht §2b für Kommunen.

Bis auf weiteres Aussetzung der Einführung des Rechtsanspruchs auf eine Ganztagesbetreuung in der Grundschule.

Den Rechtskreiswechsel für Ukraine-Flüchtlinge rückgängig machen.

Genehmigungsverfahren für Wohnungsbau und andere Infrastrukturmaßnahmen beschleunigen. Dazu sind die Genehmigungsbehörden entweder zu ertüchtigen oder die Aufgaben auf die kommunale Ebene zu verlagern.

Anstatt immer neue Förderprogramme aufzulegen, muss die Finanzausstattung der Kommunen grundsätzlich verbessert werden.

Dialog auf Augenhöhe von Legislative und Exekutive über die Machbarkeit von Gesetzesinitiativen vor deren Verabschiedung.